Winkelfehlsichtigkeit (latentes Schielen)

Heterophorie: Winkelfehlsichtigkeit
Heterophorie: Winkelfehlsichtigkeit

Eine Winkelfehlsichtigkeit (Heterophorie) ist ein latentes Schielen. Dabei liegt eine Abweichung der Augenachsen vor, bei der die Augen in einem entspannten Zustand nicht genau parallel ausgerichtet sind. Es handelt sich um eine latente (sehr geringe) Abweichung, bei der die Augenmuskeln eine gewisse Anstrengung aufbringen müssen, um die Augen in einer koordinierten Position zu halten. Bei einer Heterophorie kann das betroffene Auge eine leicht abweichende Position haben, entweder nach innen (Esophorie), nach außen (Exophorie), nach oben (Hypertropie) oder nach unten (Hypotropie).

Wahrscheinlich haben vielen Menschen eine Winkelfehlsichtigkeit, ohne dass sie bewusst Symptome verspüren.

Winkelfehlsichtigkeit
Winkelfehlsichtigkeit

In einigen Fällen können sie jedoch Beschwerden wie Augenermüdung, Kopfschmerzen, unscharfes Sehen oder Doppelbilder verursachen, insbesondere nach längerem Lesen oder bei anstrengenden visuellen Aufgaben. Eine genaue Diagnose und gegebenenfalls eine Korrektion der Heterophorie können von einem Augenarzt oder einem Orthoptisten durchgeführt werden. Dies kann die Verwendung von Prismenbrillen, speziellen Augenübungen oder in einigen Fällen sogar eine operative Korrektur umfassen.

Binokulares Sehen - stereoskopisches Sehen

Ein Mensch hat in der Regel zwei Augen, was ein binokulares Sehen ermöglicht (bin=2, okular=das Auge betreffend). Ein Vorteil des zwei-äugigen Sehens ist das stereoskopische Sehen. Idealerweise sehen die beiden Augen synchron: ein fokussierter Punkt trifft in beiden Augen auf die Makula (die Zone des schärfsten Sehens).

Stereoskopisches Sehen
Stereoskopisches Sehen

Bei einer Winkelfehlsichtigkeit gibt es hier eine Abweichung, meist nur minimal. Üblicherweise sprechen Augenoptiker und Augenärzte von Heterophorie.

Die Winkelfehlsichtigkeit ist wissenschaftlich umstritten, da sie sich im Prinzip nicht objektiv messen lässt. Um eine Winkelfehlsichtigkeit zu diagnostizieren, ist der Augenarzt oder Optiker auf die Angaben über die Seheindrücke des Patienten angewiesen. Sie lässt sich nicht "von außen" messen, so wie zum Beispiel eine Hornhautverkrümmung (Folge davon: Astigmatismus).

Eine Winkelfehlsichtigkeit gilt nicht als Krankheit, sondern als Sehschwäche bzw. Fehlsichtigkeit. Sie lässt sich wie alle brechungsbasierten Fehlsichtigkeiten (z.B. Kurzsichtigkeit) mit einer Brille korrigieren: siehe Prismenbrille.

Winkelfehlsichtigkeit
Winkelfehlsichtigkeit - latentes Schielen

Beide Augen minimal asynchron

Die anderen Fehlsichtigkeiten, die auf Brechungsfehlern basieren, lassen sie für jedes Auge separat feststellen und korrigieren. Bei Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit ist der Augapfel im Verhältnis zur Brechkraft des dioptrischen Apparats nicht optimal (zu lang oder zu kurz), bei Alterssichtigkeit funktioniert die Akkommodation nicht mehr so gut, und beim Astigmatismus ist die Wölbung der Hornhaut nicht ganz gleichmäßig.

Eine Winkelfehlsichtigkeit lässt sich durch die Untersuchung eines Auges nicht feststellen. Erst durch das Zusammenspiel beider Augen entsteht ein Seheindruck, der eine Diagnose einer Winkelfehlsichtigkeit zulässt. Beim Schielen ist es offensichtlich: hier sind die beiden Augen nicht synchron gesteuert. Ein fokussierter Gegenstand wird nur mit einem Auge wahrgenommen, das andere blickt quasi vorbei. So ähnlich, aber in sehr viel geringerem Maß, ist es auch bei der Winkelfehlsichtigkeit.

Starke Anstrengung für Augenmuskeln

Ein Auge ist über mehrere Muskeln mit dem Schädel verbunden. Darüber lässt sich in aller die Stellung des Auges aktiv steuern. Aber das kostet - wie jede Muskelbewegung - Kraftanstrengung.

Jedes Auge hat einen "entspannten Zustand", in dem kaum Muskelaufwand nötig ist. Normalerweise sollten die Augen im entspannten Zustand synchron sein, also der Winkel des Sehstrahls - gemessen an der Mittelachse - identisch sein (siehe Grafik oben).

Bei einer Winkelfehlsichtigkeit muss jeweils ein Auge aktiv durch Muskelkraft "ausgesteuert" werden. Das dauert zum einen einen kurzen Moment, was sich vor allem bei schnellen Blcikwechseln bemerkbar macht. Und zum anderen ist es eine Anstrengung, die sich vor allem Abends durch Kopfschmerzen bemerkbar machen kann.

Das Gehirn schaut mit

Das Auge bzw. das visuelle System des Menschen ist keine statische Maschine. Stattdessen entwickelt sich das Sehen erst langsam - und sehr viel basiert auf Nervenbahnenverbindungen. Wenn zwei Augen nicht synchron sind, dann verrechnet das Gehrin relativ gut die Differenz. Der Betroffene bemerkt die Winkelfehlsichtigkeit daher kaum.

Brille bei Winkelfehlsichtigkeit nötig?

Nun könnte man sagen:

Da ist doch gar keine Sehhilfe nötig!?

Stimmt im Prinzip. Und der überwiegende Teil der Betroffenen kann wohl auch mehr oder weniger problemlos damit leben. Aber: es ist letztlich Arbeit. Und auf Dauer, vor allem wenn man lange in zu dunklen Umgebungen in nur einer bestimmten Sehdistanz sieht, dann kann das eine "Überforderung" sein: die Augen ermüden und ein latenter Kopfschmerz setzt ein. Abhilfe schafft eine sog. Prismenbrille - oder eben eine normale Brille, bei der die Brillengläser minimal einer Prismenbrille ähneln und so die Winkelfehlsichtigkeit ausgleichen (siehe unten).

Sehtest für Winkelfehlsichtigkeit

Es gibt inzwischen einen relativ guten Sehtest, mit dem man eine Winkelfehlsichtigkeit diagnostizieren kann. Dieser Test basiert auf polarisierenden Filtern. Das Prinzip geht so (anders als in der folgenden Grafik ist das echte Testbild beim optiker nicht farbig, sondern besteht aus dunkelgrauen Streifen):

Weitsichtigkeit (Auge)
Ursache einer Weitsichtigkeit

Ein Testbild besteht aus zwei Teilen, die Licht unterschiedlicher Wellenlängen ausstrahlen. Als Beispiel: ein waagerechter Balken strahlt die Wellen A aus, ein horizontaler Balken strahlt die Wellen B ab. Wenn wir das Bild mit beiden Augen betrachten, sieht es aus wie ein normales Kreuz (siehe Abbildung rechts).

Winkelfehlsichtigkeit Sehtest
Winkelfehlsichtigkeit Sehtest
Eindruck beim Augenoptiker

Vor das linke Auge wird nun ein Glas gesetzt, das nur bestimmte Lichtwellen (A) durchlässt. Die Wellen B des horizontalen Balkens werden von dem Brillenglas absorbiert (verschluckt). Wenn das rechte Auge nun geschlossen ist, kann man durch dieses Brillenglas nur den waagerechten Balken sehen.

Vor das linke Auge wird das andere Glas gesetzt, durch das man nur den horizontalen Balken erkennen kann.

Solange nur eines der beiden Augen sieht, ist kein Fehler zu bemerken. Aber wenn man nun den Blick für beide Augen freigibt (sog. binokulares Sehen), dann zeigt sich, ob man eine Winkelfehlsichtigkeit hat: denn nur, wenn man ein exaktes Kreuz sieht, liegt keine Winkelfehlsichtigkeit vor.

Wenn der waagerechte Balken nach oben oder unten verschoben ist, dann hat man eine "vertikale Winkelfehlsichtigkeit". Wenn der horizontale Balken nach links oder rechts verschoben ist, dann hat man eine "horizontale Winkelfehlsichtigkeit".

Korrektur durch prismatisches Glas

Da es sich um ein brechungsbasierte Fehlsichtigkeit handelt, kann man sie problemlos mithilfe einer Brille korrigieren. Dafür muss das Brillenglas ein eine Richtung etwas stärker werden. Da die Form dann einem Prisma ähnelt, nennt man es auch "prismatisches Brillenglas", siehe Prismenbrille.

Winkelfehlsichtigkeit und Gleitsichtbrille?

Wenn man sich eine Gleitsichtbrille kauft, kommt es anfangs meist zu Problemen bei der Eingewöhnung. Das liegt vor allem daran, dass man lernen muss, den Kopf mitzudrehen, anstatt aus den Augenwinkeln zu schauen. Nach einigen Tagen haben sich die meisten daran gewöhnt. Aber bei manchen Menschen stellt sich keine Besserung ein. Im Gegenteil: Wenn sie die neue Gleitsichtbrille targen, kommt es auch nach Tagelangem Tragen nach ca. 30 - 60 Minuten zu Kopfschmerzen und manchmal sogar Übelkeit.

Gleitsichtbrille
Gleitsichtbrille

Wenn diese Betroffenen dann versuchen, diese Brille beim Optiker zu reklamieren, werden sie meist damit abgespeist, dass alles korrekt vermessen sei. Aber: nicht selten wurde dann der Test auf Winkelfehlsichtigkeit vergessen. Denn bei einer Winkelfehlsichtigkeit stimmen die Durchblickpunkte dann nicht, was sich bei einer Gleitsichtbrille besonders bemerkbar macht. Das ist natürlich auch deshalb so ärgerlich, weil eine Gleitsichtbrille um ein Vielfaches teurer ist als eine Einstärkenbrille.

Abhilfe schafft dann nur ein prismatisches Gleitsichtbrillenglas. Falls Sie davon betroffen sind: Haben Sie einen Winkelfehlsichtigkeitstest gemacht - so wie oben beschrieben? Falls nicht, suchen Sie sich einen Optiker, der so einen Sehtest anbietet ("Der Sehtest mit den waagerechten und senkrechten Balken, die ein Kreuz ergeben.").

Fragen Sie nach ...

Die Winkelfehlsichtigkeit wird häufig nicht diagnostiziert. Denn sie wird häufig gar nicht getestet. Auch in den Standard-Brillenpass-Vordrucken gibt es keine Möglichkeit, diese Werte einzutragen. Fragen Sie also nach, ob Ihr Optiker so einen Sehtest machen kann.

Nicht selten ist eine leichte Winkelfehlsichtigkeit die Ursache für müde Augen und latente Kopfschmerzen. Mit der richtigen Brille mit prismatischen Gläsern werden die Abende nach stressigen Arbeitstagen - insbesondere wenn man viel am PC arbeitet - deutlich angenehmer. Siehe dazu auch: Müdes Augen und latente Kopfschmerzen durch PC- und Smartphone-Nutzung

Quellen / Links