Sehstärke (Visus) und Dioptrien - Unterschied und Umrechnung
Wer einen Sehtest gemacht hat, bekommt zum Teil unterschiedliche Angabe über die Sehstärke (Sehkraft). Da hat man manchmal einen Wert von 100%, oder einen Visus, von 1,1 oder eine Dioptrie-Zahl von -1,75. Wie passt das zusammen? Worin liegt der Unterschied zwischen den Werten - und warum gibt es überhaupt verschiedene Werte?
Das Problem basiert darauf, dass sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Anforderungen an die Beschreibung der Sehschärfe entwickelt haben, die nicht direkt miteinander zu tun haben.
Das Auflösungsvermögen der Netzhaut (Fovea)
Das scharfe Sehen im menschlichen Auge findet auf eine kleinen Region auf der Netzhaut im Auge statt: der Fovea im Zentrum der Makula. Dort sind die lichtempfindlichen Sinneszellen besonders dicht gedrängt, so dass alles, was dort abgebildet wird, besonders differenziert wahrgenommen werden kann.
Die Anzahl der lichtempfindlichen Zapfen in dieser Region ist jedoch von Mensch zu Mensch verschieden - und sie nimmt zusätzlich im Laufe des Alters ab. Man kann diesen Wert daher nicht "verallgemeinern". Dieses Auflösungsvermögen ist individuell.
Brechungsbasierte Abbildungsfehler
Damit man das volle Auflösungsvermögen der Fovea überhaupt nutzen kann, muss das visuelle Bild durch den dioptrischen Apparat erst einmal exakt dort abgebildet werden. Das gelingt jedoch häufig nicht. Ursache für diese Abbildungsfehler sind in der Regel:
Dieses Abbildungsfehler können durch Vorsetzen einer optischen Linse sehr exakt korrigiert werden. Die optische Korrektur wird mithilfe von Dioptrie-Angaben beschrieben (siehe dazu: Was bedeuten die Werte aus dem Brillenpass?)
Visus von 120% ???
Wie kommt es also nun zu den unterschiedlichen Werte? Der Gesetzgeber definiert für viele Zusammenhänge (z.B. Fahrerlaubnis) eine "Mindestsehleistung". Diese wird mit einer Prozentangabe benannt. Der Prozentwert ist allerdings sehr irreführend. Denn ...
- 100% ist der Normalwert: manche Menschen besitzen deutlich mehr als 100% (bis zu 130%). 100% ist also nicht "die beste Sehkraft von allen", sondern normaler Durchschnitt.
- Die Staffelung ist nicht einheitlich: Im oberen Bereich wirken sich Unterschiede nicht so gravierend aus (70% ist fast so gut wie 100%). Im unteren Bereich sind die visuellen Konsequenzen bei geringfügigen Prozentverschiebungen erheblich gravierender.
Die Prozentangabe leitet sich vom Auflösungsvermögen der Netzhaut (s.o.) ab. Grob vereinfacht: es wird gemessen, wie gut man zwei Punkte in einer bestimmten Entfernung unterscheiden kann (beim Sehtest in der Regel 6 Meter). Je näher die beiden Punkte sind, die man unterscheiden kann, um so höher der Visus-Wert. Beim Sehtest wird ermittelt, wie groß bzw. klein Abstände sein können, dass man sie noch erkennen kann. Als genormtes Sehzeichen wird dabei in der Regel der Landolt-Ring genutzt (siehe Abb. rechts). Die kleine weiße Öffnung im schwarzen Ring muss erkennbar sein, damit man die Richtung des Ringes benennen kann.
Unterschied Visus - Dioptrie
Daraus folgt:
- Der Visus-Wert und die entsprechende Prozent-Angabe beziehen sich also in der Regel auf die Sehstärke insgesamt.
- Die Dioptrie-Angaben beziehen sich lediglich auf die notwendige Brechkraft einer Korrektur-Linse (z.B. Brille).
Man kann daher zum Beispiel mit einer entsprechend guten Brille einen Visus von 120% erreichen (weil das Auflösungsvermögen des Auges entsprechend gut ist).
Umrechnungstabelle
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass es eigentlich keine "richtige" Umrechnungstabelle geben kann. Denn das Auflösungsvermögen jedes Auges ist individuell.
Aber: bei vielen Menschen kann man einen durchschnittlichen Normwert setzen und auf dieser Basis eine Umrechnungstabelle zwischen Visus-Wert und Dioptrie-Wert aufstellen. Das funktioniert allerdings nur bei einer Kurzsichtigkeit. Bei Weitsichtigkeit spielt die Akkommodationskraft des Auges eine weitaus größere Rolle (siehe auch: Unterschied zwischen kurzsichtig und weitsichtig). Wegen dieser zusätzlichen Komponente lässt sich keine seriöse Umrechnung mehr leisten. Hier die (grobe) Umrechnungstabelle bei Kurzsichtigkeit (Minus-Dioptrie-Werte):
Dioptrie-Wert | Prozent Sehleistung |
0,0 dpt | 100% |
- 0,5 dpt | 50% |
- 1,0 dpt | 25% |
- 1,5 dpt | 12,5% |
- 2,0 dpt | 6,2% |
- 2,5 dpt | 3,1% |
- 3,0 dpt | 1,5% |
- 3,5 dpt | 0,8% |
- 4,0 dpt | 0,4% |
- 4,5 dpt | 0,2% |
- 5,0 dpt | 0,1% |
Nun könnte man vermuten, dass man (technisch gesehen) ab einem Visus von 0,1 Prozent eigentlich blind sein müsste. Das ist natürlich Unsinn. Man erkennt auch dann noch Farben, grobe Formen und vor allem Bewegungen.
Richtig ist allerdings, dass man ab einer Sehleistung von weniger als 70% im Straßenverkehr eine Brille tragen sollte (zum Auto-Fahren ist es gesetzlich vorgeschrieben). Das entspricht einem Dioptrie-Wert (bei Kurzsichtigkeit) von rund -0,3 Dioptrie.
Landolt Sehtest
Hier noch einmal ein Landolt-Sehtest - der natürlich nur einigermaßen korrekte Ergebnisse liefert, wenn er räumlich korrekt aufgebaut ist. Am besten und sichersten ist immer, den Sehtest beim Optiker oder Augenarzt machen zu lassen.
Die Optikerin oder der Optiker kann dann auch eine Refraktion vornehmen: das professionelle Vermessen der Augenwerte. Falls man eine Brille braucht, hat man dann auch gleich die richtigen Werte (z.B. die Sphäre, die Addition, die exakte Pupillendistanz)
Sehhilfen: Brillen
Siehe auch
- Sehtestbilder: Visus
- Onlinesehtests.de: Netzhaut (Retina)